Wir veröffentlichen hier die Stellungnahme der "Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung" (ÄFI) vom 24. Dezember:
"Am 10. Dezember 2021 haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen SARS-Cov-2 beschlossen. Derzeit wird die zeitnahe Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen SARS-Cov-2 politisch diskutiert und vom Deutschen Ethikrat in seiner Ad hoc-Stellungnahme vom 22. Dezember 2021 mehrheitlich befürwortet. Als Ärztinnen und Ärzte, die Impfungen grundsätzlich als Teil ihrer ärztlichen Vorsorgetätigkeit ansehen, nehmen wir dazu wie folgt Stellung:
Wir sind uns der Schutzpflicht des Staates gegenüber Leib und Leben seiner Bürgerinnen
und Bürger bewusst. Wir anerkennen die bedrohliche Lage im jetzigen Stadium der Pandemie
und sehen Impfstoffe als Teil einer Strategie, die der Dynamik einer sich ständig ändernden Situation gerecht werden muss. Die Einführung sowohl einer
einrichtungsbezogenen wie auch einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 lehnen wir jedoch ab. Folgende Gründe leiten uns dabei:
Die Covid-19-Impfstoffe vermitteln keinen nachhaltigen Schutz davor, sich mit SARSCoV-
2 anzustecken („Eigenschutz“)
Spätestens drei Monate nach der zweiten Impfdosis lässt der Schutz vor Infektion deutlich
nach [Israel 2021] und liegt sechs Monate nach der zweiten
Impfung bei unter 20 Prozent
[gov.il 2021]. Auf dieses „substanzielle Risiko“
auch der Geimpften, sich zu infizieren, wies
z. B. Prof. Dr. Christian Drosten vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages
am 15.11.2021 ausdrücklich hin [tagesschau.de]. Belastbare Daten zur Dauer des Schutzes nach einer
Booster-Impfung oder in Bezug auf die Omikron-Variante liegen noch nicht vor.
Die Covid-19-Impfstoffe vermitteln keinen zuverlässigen Schutz vor der Ansteckung
anderer („Fremdschutz“)
Das Risiko, andere anzustecken, ist in Kontaktstudien unter „real-world-Bedingungen“ bei der Delta-Variante für infizierte Geimpfte genauso hoch wie für infizierte Ungeimpfte [Singanayagam 2021, Salvatore 2021]. Eine Impfpflicht z. B. für Pflegende, um die von ihnen Betreuten vor einer Ansteckung zu schützen, kann sich
somit nicht auf eine wissenschaftliche Evidenz stützen. Daten zum Schutz vor einer Ansteckung nach einer Booster-Impfung oder für die Omikron-Variante liegen noch nicht vor.
Die Covid-19-Impfstoffe bewirken keinen nachhaltigen Gemeinschaftsschutz
(„Herdenimmunität“)
Mit einem nur vorübergehenden Schutz vor eigener Ansteckung und ohne eine relevante Verminderung des Übertragungsrisikos auf andere ist durch die vorhandenen Impfstoffe keine Herdenimmunität
erreichbar. Hierauf wies z. B. auch RKI-Chef Prof. Lothar Wieler auf der Bundespressekonferenz am 12. November 2021 hin [WELT, 12.11.2021: „Das Wort
Herdenimmunität haben wir gestrichen“].
Die Nachhaltigkeit des Impfschutzes wird durch neue Virusvarianten unvermeidbar
beeinträchtigt
Spätestens seit der Omikron-Variante ist klar, dass bei SARS-CoV-2 mit seiner hohen Mutationsfrequenz kein Impfstoff einen nachhaltigen Schutz bewirken kann. Die Bevölkerung zu verpflichten,
einen Impfstoff anzuwenden, der zum Zeitpunkt dieser Verpflichtung noch nicht einmal entwickelt, geschweige denn zugelassen ist (z. B. spezielle Omikron-Impfstoffe), ist juristisch und ethisch
absurd.
Die mit Covid-19-Impfstoffen verbundenen Risiken betreffen einzelne Bevölkerungsgruppen
sehr unterschiedlich und sind noch nicht abschließend beurteilbar
Alle Covid-Impfstoffe verfügen nur über eine „bedingte Zulassung“ nach verkürzten Zulassungsverfahren. Belastbare Daten zur mittel- oder langfristigen Sicherheit dieser neuartigen Impfstoffe
können naturgemäß noch nicht vorliegen. Allein dieser Umstand stellt eine verpflichtende Anwendung dieser Impfstoffe ethisch grundsätzlich in Frage. Das Risiko kurzfristiger Nebenwirkungen
verteilt sich nicht gleichmäßig über die Gesamtzahl der Geimpften, sondern betrifft auch gerade diejenigen Bevölkerungsgruppen besonders stark, die durch schwere Krankheitsverläufe besonders
wenig bedroht sind (z. B. die Myokarditis nach mRNA-Impfstoffen bei jungen Männern zwischen 16 und 25 Jahren [Buchan 2021]).
Die mit einer SARS-CoV-2-Infektion verbundenen Risiken sind innerhalb der Bevölkerung
sehr unterschiedlich verteilt
Die Infektionssterblichkeit bei Covid-19 liegt bis in das mittlere Erwachsenenalter im Bereich
anderer Infektionskrankheiten, z. B. der saisonalen Influenza, die als Teil des normalen Lebensrisikos akzeptiert sind [Ioannidis 2021, Herrera-Esposito 2021]. Erst ab einem Alter von etwa 60 Jahren kommt es hier deutlich häufiger zu schweren Verläufen,
Komplikationen oder Todesfällen. Die Verhältnismäßigkeit einer allgemeinen Impfpflicht für Menschen unterhalb dieses Alters ist somit mehr als nur fragwürdig.
Ob eine Impfpflicht das Gesundheitssystem entlastet, ist wissenschaftlich fraglich
Mehr als 60 Prozent der an Covid-19 Erkrankten auf Intensivstationen gehören zur Risiko-
Altersgruppe der über 60-Jährigen, mehr als 80 Prozent zur Altersgruppe über 50 Jahre
[DIVI, Abruf 21.12.21] . Von
einer Impfpflicht für jüngere Erwachsene oder gar Jugendliche
und Kinder ist daher keinerlei substanzielle Entlastung der Krankenhäuser und Intensivstationen zu erwarten. In der Gruppe der über 60-jährigen Covid-Intensivpatienten sind über 40 Prozent
vollständig geimpft, bei den Hospitalisierten aus dieser Altersgruppe handelt es sich bei fast 50 Prozent um Impfdurchbrüche [RKI Wochenbericht vom 16.12.2021]. Diese
Zahlen relativieren den möglichen Effekt einer Impfpflicht für die angestrebte Entlastung des Gesundheitssystems selbst in dieser Altersgruppe.
Eine Impfpflicht mit dem ihr eigenen administrativen und juristischen Aufwand kann – selbst
wenn man die bisher aufgeführten Argumente außer Acht ließe – kein kurzfristig wirksames
Instrument sein, um die ausschließlich politisch zu verantwortenden Mangelzustände im
Gesundheitssystem zu beheben. Hier braucht es sowohl rasch entlastende, gleichzeitig aber
auch nachhaltige Strategien. Eine davon ist z. B., die derzeit so belasteten Pflegeberufe aufzuwerten und personell aufzustocken.
Die mittlerweile gesetzlich verankerte Impfpflicht unter anderem für Pflegeberufe birgt darüber hinaus das Risiko, dass sich die Versorgungssituation in den Krankenhäusern zusätzlich
verschlechtert, weil mit Kündigungen in relevantem Umfang zu rechnen ist [inFranken.de]. Dieses Phänomen wird auch in anderen
Ländern mit einer vergleichbaren Regelung erwartet bzw. beobachtet [Kmietowicz 2021].
Eine Impfpflicht greift zutiefst in die Grund- und Menschenrechte ein
Vor dem Hintergrund der dargelegten Gründe gegen eine Impfpflicht sind weitere Aspekte
abzuwägen:
1. Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht stellt einen schweren Eingriff
in die körperliche Unversehrtheit einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers dar.
2. Durch die bereits bestehende einrichtungsbezogene Impfpflicht werden Menschen
an der Freiheit ihrer Berufsausübung gehindert.
3. Impfungen, die gegen den ausdrücklichen Willen eines Menschen verabreicht werden,
greifen tief und nachhaltig ein in das Selbstbestimmungsrecht und somit auch in die
Würde der Menschen.
FAZIT
Eine Impfpflicht gegen Covid-19 ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte jeder
einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers und damit in die Grundwerte unserer Gesellschaft. So notwendig es ist, die Pandemie entschlossen zu bekämpfen, so unverantwortlich ist es,
Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, für die es – wie ausgeführt – derzeit keine hinreichende wissenschaftliche Grundlage gibt.
Eine Impfpflicht ist gerade nicht das notwendigermaßen agile und flexible Instrument eines
Pandemiemanagements, wie es uns andere Länder erfolgreich vormachen. Unter den sich
ständig wandelnden Bedingungen kann sie keine Lösung sein.
Eine Impfpflicht wird – wie ebenfalls ausgeführt – ihre Wirkung verfehlen. Wir appellieren an
Sie als Politikerinnen und Politiker, wir appellieren an Ihre Verantwortung dieser Situation und
den Menschen dieses Landes gegenüber:
Es gibt wirksame und von wissenschaftlicher Evidenz gestützte Alternativen. Gehen Sie mit
Impfangeboten auf die Menschen aus Risikogruppen zu und ergreifen Sie risikoorientiert
konkrete Maßnahmen – gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und für diese."
Berlin, 24. Dezember 2021
Vorstand Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.
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