Hochrechnungen, Schweden und das Handeln aus Einsicht

[Christoph Hueck:]  In meinem Blog-Beitrag vom 27. April habe ich die Hochrechnungen diskutiert, mit deren Voraussagen horrender Todeszahlen die Lockdown-Maßnahmen in vielen Ländern begründet wurden. Dass einer der Hauptverantwortlichen für diese Zahlen, der britische Professor für mathematische Biologie Neil Ferguson vom Imperial College in London, inzwischen selbst berufliches Opfer des von ihm mit ausgelösten Hypes geworden ist [1], ist bekannt. Interessanter finde ich, dass das mathematische Modell, anhand dessen Ferguson und sein Team bis zu 500.000 britische und 2.4 Mio. amerikanische Corona-Tote voraussagten, auf Schweden angewendet worden ist, also auf ein Land, das dem drakonischen Lockdown bis heute mutig widerstand.

Die Rechnung, über die der britische Spectator berichtete [2], ergab, dass Schweden im Mai und Juni theoretisch mit 40.000 bis 100.000 Corona-Toten zu rechnen gehabt hätte. Fergusons Team hatte aufgrund des fehlenden Lockdowns einen deutlich höheren Reproduktionsfaktor des Virus als in anderen Ländern vorausgesagt.[3] Tatsächlich starben in Schweden bis Anfang Mai jedoch 2.680 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus.

Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig die theoretischen Modellrechnungen der Epidemiologen mit der Wirklichkeit zu tun haben. Und es ist insofern bedeutsam, als man im Falle Schwedens eben nicht behaupten kann, dass die niedrigen Todeszahlen am staatlich verordneten Zwangslockdown gelegen hätten.

Aber noch ein anderer Aspekt verdient Beachtung, über den der schwedisch-amerikanische Publizist Johan Norberg in einem engagierten Artikel schrieb: „Das Modell des Imperial College berücksichtigte nur zwei Szenarien: einen erzwungenen Lockdown oder gar keine Verhaltensänderung. Es hatte keine Möglichkeit zu berechnen, dass die Schweden sich freiwillig sozial distanzieren würden.“[4]

Der Unterschied zwischen Schweden und Deutschland ist, dass die schwedische Regierung ihren eigenen Bürgern vertraute. „Folkvett“ – gesunder Menschenverstand ist das, worauf sie setzte und setzt. In Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern gingen die Regierungen davon aus, dass sie ihre Bürger zu gesundem Verhalten zwingen müssen. Staat versus Individuum, Zwang versus Selbstverantwortung. In Computermodellen und Tracing-Algorithmen werden Menschen zu namenlosen, punkthaften Entitäten, deren Verhalten man von außen steuern zu können glaubt – und sei es „nur“ durch eine anonyme Maschinerie. Dass diese Entitäten individuell einsichtsfähige, fühlende und handelnde Menschen sind, die sich irgendwann nicht mehr steuern lassen wollen und gegen ihre Entindividualisierung zu wehren beginnen, sollte eigentlich nicht verwundern. Sie wehren sich ja nur, weil es für sie selbst nicht mehr nachvollziehbar ist, warum sie sich dem staatlichen Diktat immer weiter beugen sollen, wenn die Kriterien für die Zwangsmaßnahmen alle paar Tage willkürlich geändert werden.

Für jeden echten Demokraten muss es doch ein Anlass zum Jubel sein, dass sich nun endlich Zehntausende in Deutschland auf die Straßen wagen und gegen den staatlich verordneten, nicht mehr einsehbaren Irrsinn demonstrieren. Ethischer Individualismus, Handeln aus Einsicht, nicht Handeln aus Zwang, darum geht es!

Christoph Hueck

 

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Kommentare: 2
  • #1

    John Wervenbos (Sonntag, 10 Mai 2020 11:39)

    Herr Hueck,
    Meine Ideen (Fragen) für diesen Blog sind: (1) demographische, infrastrukturelle und geographische Unterschiede: Inwieweit spielen sie eine Rolle bei Ansteckung und einem Infektionsgrad(?) und (2) freiwilliges oder aufgezwungenes Verhalten der Bürger: Inwieweit und in welchem Sinne spielt das Wesen eines Volkes oder eines Konglomerats von Völkern, mit inhärent aktivem und passivem Volksverhalten in verschiedenen Richtungen, eine Rolle bei Freiheitsspielräumen (und bei Ansteckung und einem Infektionsgrad)?

  • #2

    John Wervenbos (Sonntag, 10 Mai 2020 14:29)

    Herr Hueck,

    Und noch eine Frage an Sie: Wie schätzen Sie die Aktualität und mögliche Anwendbarkeit der Aussagen Rudolf Steiners auf Covid-19 auf zwei Fragen ein, die ihm gestellt wurden? Literaturquelle: GA 314, Seiten 286 bis 288. (Dornach, 22. April 1924)

    Die erste Frage an Rudolf Steiner:
    'Welches sind die Bedingungen für das Zustandekommen einer Pockenepidemie? Es scheint, daß diese Krankheit ihren bösartigen Charakter eingebüßt hat. Ich habe solche Fälle beobachtet. Was sagt die Geisteswissenschaft zur Impfung?'

    Und die Folgefrage (zweite Frage) lautete:
    'Wenn die Verhältnisse so liegen, wie zum Beispiel in unserer Gegend, wo die Einwirkung durch die Erziehung und so weiter sehr schwierig ist, wie soll man sich da verhalten?'

    Internetadresse:
    http://fvn-archiv.net/PDF/GA/GA314.pdf#page=286