[Andreas Neider:] Gegenwärtig fordern neben dem Handel vor allem die Kirchen eine Wiederöffnung ihrer Häuser, um ihre Gottesdienste wieder abhalten zu können. Denn es ist richtig, dass kultisches Handeln und religiöser Vollzug nicht online oder im Privaten erfolgen können; sie brauchen die reale Präsenz einer Menschengemeinschaft. Wie aber steht es mit anderen Gemeinschaften? Im Kulturbereich hat man bisher nur sehr wenige verhaltene Rufe nach Wiedereröffnung von Theatern, Konzerträumen und anderem gehört. Denn hier gibt es keine fest bestehenden Gemeinschaften, die sich um die Wiedereröffnung „ihres“ Theaters oder Konzerthauses bemühen könnten.
Und wie steht es mit den Anthroposophen? Brauchen sie nicht ebenso wie die christlichen Kirchen und der christliche Kultus die Menschengemeinschaft, um die Anthroposophie zu praktizieren? Natürlich kann jeder Mensch die Anthroposophie auch alleine im stillen Kämmerlein studieren, und auch die Meditation geschieht zunächst alleine, zu Hause. Dennoch: auch die Anthroposophie lebt nur dann, wenn sie von Mensch zu Mensch, im Gespräch, im Gedankenaustausch, in der gemeinsamen Vertiefung in einen geistigen Inhalt gelebt wird, sonst vertrocknet sie zu einer rein individuellen, aber nicht mehr gemeinschaftlich gelebten Spiritualität.
Momentan ist aber von anthroposophischer Seite kaum bis gar kein öffentliches Eintreten für die durch COVID-19 verlorenen Grundrechte zu hören. Wäre es nicht an der Zeit, dass sich Rudolf Steiner-Häuser und auch offizielle Vertreter der Anthroposophischen Gesellschaft dafür einsetzen, dass die anthroposophische Arbeit möglichst bald wieder in Menschengemeinschaft geschehen kann, natürlich unter Einhaltung der geltenden Hygienemaßnahmen und Bestimmungen? Denn überlaufen sind die Zusammenkünfte der anthroposophischen Zweige, Arbeitsgruppen und Seminare ja nur in den seltensten Fällen, und darin ähneln sie den kirchlichen Gottesdiensten, deren Kirchen auch vor Corona nur selten wirklich gefüllt waren.
Andreas Neider
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Hans-Florian Hoyer (Freitag, 01 Mai 2020 17:52)
... ist es nicht ein bischen übertrieben, von "Eintreten für die durch COVID-19 verlorenen Grundrechte" zu schreiben?
Nach meinem Verständnis sind einige davon ausgesetzt, aber nicht verloren.